Insulinresistenz beim Pferd - "Diabetes Typ 2"

Noch vor wenigen Jahren hieß es in der Literatur eindeutig: "Diabetes gibt es beim Pferd nicht!" Dann wurde Insulin aus Auslöser für Hufrehe nachgewiesen. Auch bei den ersten Pferden wurde Diabetes nachgewiesen. Inzwischen ist die Insulinresistenz, und zwar der Diabetes Typ 2, "Altersdiabetes" beim Pferd eine gefürchtete Komplikation.

(Diabetes Typ 1, bei dem die insulin-produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse zerstört werden, so dass zuwenig Insulin produziert werden kann, kommt beim Pferd anscheinend wirklich nicht vor. Beim Diabetes Typ 2 (des Menschen) können die Körperzellen immer weniger Glucose aus dem Blutaufnehmen, so daß immer mehr Insulin nötig wird. Diese Entgleisung des Stoffwechsels geschieht auch beim Pferd.)

Die Insulinresistenz, der Diabetes Typ 2, kommt in den letzten Jahren immer häufiger beim Pferd vor.

Folgen der Insulinresistenz

Erkennbar wird die Insulinresistenz an der Bildung spezieller Fettpolster: vor allem der Mähnenkamm und über der Schweifwurzel, aber auch der Bereich um Schlauch/ Euter. Häufige Koliken können ein Anzeichen sein wie häufiges Harnen. Gefährlich ist auch die Entwicklung einer chronischen Hufrehe. Auch unter Fühligkeit, Leistungsschwäche, Mattheit, Nachschwitzen nach Bewegung und Interesselosigkeit bis zur Depression können betroffene Pferde leiden.

Pferde-Futter und Blutzuckerspiegel

Kommen Glucose-Moleküle (Einfachzucker) aus der Nahrung ins Blut, dann steigt der Blutzuckerspiegel. Diese Glucose ist die Nahrung und Energielieferant für alle Zellen im Körper. Damit die Zellen sie aufnehmen können, steigt der Insulinspiegel. Insulin fördert die Aufnahme der Glucose in die Zellen: vor allem in die Muskulatur, wo sie als Glykogen gespeichert wird (das betrifft die Pferde mit den Muskel-Speicherkrankheiten, PSSM z.B.) und in die Leber. Die Leber kann - im Gegensatz zu den Muskeln, leider nicht Stopp sagen. Dafür wandelt sie die Glucose in Fett um, wenn der Glycogenspeicher voll ist.

Insulin hilft den Muskelzellen, Zucker aus dem Blut aufzunehmen. Wird Zucker als Energielieferant bei der Bewegung verbraucht, dann wird das Glycogen verbraucht und als Zucker verbrannt. Die Muskelzellen nehmen dann noch mehr weiter Zucker aus dem Blut, um ihre Arbeit weiterhin leisten zu können.

Wenn der Blutzuckerspiegel unter ein kritisches Niveau gesunken ist, schüttet die Bauchspeicheldrüse Glucagon aus. Unter seiner Wirkung löst die Leber ihre Glycogenspeicher auf und gibt Zucker an das Blut ab. So wird der Blutzuckerspiegel reguliert.

Ein hoher Blutzuckerspiegel (oder nach neueren Untersuchungsergebnissen auch ein hoher Insulinspiegel) schädigt die Blutgefäße. Vor allem die kleinen Kapillaren leiden. Das führt zu einer Störung der Durchblutung. Wenn der Blutzuckerspiegel über die sogenannte Nierenschwelle ansteigt, wird Zucker mit dem Harn ausgeschieden. Das belastet nun auch noch die Nieren.

der glykämische Index der Futtermittel

Bei der Verdauung von Nahrung steigt der Blutzuckerspiegel. Der Unterschied zwischen Zucker bzw. Stärke aus Kraftfutter, Cellulose oder Pektin aus Rauhfutter ist die Geschwindigkeit des Anstiegs. Und das ist bei Zucker und Stärke sehr schnell und steil, denn diese werden schon im Dünndarm verdaut.

Bei Cellulose und Pektinen dauert die Verdauung länger. Mikroorganismen im Dickdarm übernehmen den Abbau für das Pferd. Die aus der Rohfaser gewonnenen Zuckermoleküle kommen so langsamer ins Blut, dafür kontinuierlich - und die Mikroben fressen sich ihren Teil davon.

Beim Menschen kennt man dieses schnelle oder langsame Anfluten von Glucose als "glycämischen Index". So hat Weizenmehl und Mais einen hohen glycämischen Index, Eiweiß einen niedrigen. Der Pferde-Stoffwechsel ist im Wesentlichen auf langsam verdauliche Strukturkohlenhydrate wie Cellulose oder Hemicellulose ausgelegt - Pferde sind auf die Verdauung von rohfaserreichem Raufutter vorbereitet. Also auf ein langsames Anfluten von Glucose. Stärke und Zucker aus energiereichen Samen kommen in der natürlichen Ernährung kaum vor.

dreimal täglich Kraftfutter?

In den meisten Pferdeställen ist das üblich. Kraftfutter gehört für viele immer noch zur Ernährung eines Pferdes dazu, oft auch in sehr großen Mengen. (vor 25 Jahren bekamen unsere Pferde gar kein Heu, sondern nur viermal täglich Kraftfutter. Es galt als ein sehr guter Stall. Nun, heute weiß man mehr.)

Die meisten Pferde-Mischfutter enthalten dabei auch noch Getreide wie Mais, das für Pferde thermisch aufgeschlossen gefüttert werden muss (Maisflocken). Dabei werden die Stärkemoleküle durch Hitzebehandlung schon "vorverdaut": der Blutzucker steigt noch schneller an.

Der Stoffwechsel der Pferde ist für so schnellen Blutzuckerschwankungen nicht vorbereitet. Pferde brauchen oft Stunden, um nach einer Zuckergabe den Blutzuckerspiegel wieder zu normalisieren. Gleichzeitig liegt die nächste Krippen-Mahlzeit schon bereit. Auf Dauer kommen Blutzuckerspiegel und Insulinwert gar nicht zum Normalbereich. Langfristig verlieren dann die Rezeptoren der Muskel- und Leberzellen ihre Empfindlichkeit für Insulin, weil das ständig vorhanden ist. Die Insulinresistenz ist entstanden.

Insulinresistenz ohne Kraftfutter?

Insulinresistenz bei leichtfuttrigen Pferden

Leichtfuttrige Pferde können bereits von Heu und Stroh fett werden - und wir haben uns an den Anblick von moppeligen Pferden gewöhnt. Die Sehgewohnheiten haben sich verändert - und es sind Spezialrassen dazugekommen, die "breiter" wirken (und es oft auch sind). Dazu kommt, dass die wenigsten Menschen Zeit haben, ihr Hüh stundenlang zu arbeiten, wie es früher üblich war, als die Pferde noch für ihr Futter arbeiten mussten.

Leider haben sich Pferde noch nicht an das Wohlstandsleben in Europa anpassen können - noch sind sie auf harte Zeiten mit möglichst wenig Nahrung angepasst, nicht auf 24-Stunden-Weidegang auf Wiesen, auf die energiereiches Hochleistungsgras eingesät wurde.

Fettpolster wirken als Hormondrüsen. Sie belasten den Stoffwechsel. Fettpolster bei EMS führen auch zur Insulinresistenz.

Insulinresistenz nach Selen - Fütterung

Es gibt Pferde, die nie Kraftfutter oder Müsli bekommen haben; Pferde, die nicht dick sind - und die trotzdem eine Insulinresistenz haben. In der Vorgeschichte dieser Pferde wurde in den meisten Fällen ein Selenmangel mit einem konzentrierten Selenpräparat behandelt.

Blutwerte bei Selen

Der Plasmawert für Selen, der im Blutbild bestimmt wird, ermöglicht keine sichere Aussage über die Versorgung des Pferdes. Der Selenspiegel wird im Körper kaum reguliert (im Gegensatz zu z.B. Calcium oder auch dem Blutzuckerspiegel oben). Selen ist an vielen Prozessen im Körper beteiligt. Braucht ein Gewebe Selen, wird es aus dem Blut resorbiert. Füttert man jetzt Selen, werden alle Gewebe aufgefüllt (teilweise bis in den toxischen Bereich). Der Plasmawert bleibt oft zuerst unverändert.

Selen ist in der Pferdefütterung zu schwierig zu dosieren. Eine sehr niedrige oder sehr hohe Aufnahme kann vom Pferd nur schlecht durch einen gesteigerten oder verringerten Verbrauch reguliert werden. Eine Unter- oder Überversorgung ist die direkte Folge.

Europa gilt als Selen-Mangelgebiet. Das allerdings bereits seit Jahrhunderten, und solange Pferde hier überhaupt Leben gehalten wurden. Aus dem Grundfutter kann ein Pferd den gewünschten Grenzwert nicht erreichen, nicht einmal bei 2-3 kg Heu/100 kg LM. Allerdings auch das seit Jahrhunderten bereits. Hufrehe, EMS, Insulinresistenz und Cushing Nehmen aber seit wenigen Jahren dramatisch zu.

Selen kann bei einer akuten Vergiftung eine Hufrehe auslösen. Aber chronisch verändert es die Empfindlichkeit der Zellen für Insulin. Es stört die Funktion des Insulin-Rezeptors der Zellen. Auch das führt zu Insulinresistenz. Dieser Mechanismus, einen Diabetes Typ 2 zu erzeugen, ist beim Menschen intensiv untersucht worden. Beim Menschen wird inzwischen vor Selen-Präparaten gewarnt.

Selen ist darüber hinaus ein Konkurrent für Chrom, das bei der Insulinresistenz zugeflüstert wird, um den Zuckerstoffwechsel zu normalisieren.

Behandlung der Insulinresistenz

Die betroffenen Pferde müssen wieder sensitiv werden für das Insulin, um ihren Stoffwechsel normalisieren zu können. Dazu gehört eine angepasste Ernährung, die auf Kohlehydrate mit hohem Glykämischen Index verzichtet (also Vorsicht bei Kraftfutter). Es gehört angepasste Bewegung dazu - auch schnelle Bewegung. Eine entsprechende Diät zum Abbau der eventuell vorhandenen Speckpolster ist ebenfalls ein wichtiger Bestandteil. Und es gehört eine vorsichtige und individuell angepasste Gabe von Mineralien dazu. Chrommangel - sei es absolut oder relativ zu anderen Spurenelementen (wie Selen) kann tatsächlich zu einer Insulinresistenz führen.

Vermutlich ist das Biomolekül Chromodulin ein Auslöser der Insulinresistenz. Dieses kleine Molekül enthält vier Chrom-Ionen. Es ist ein Ko-Faktor, um den Insulinrezeptor aktivieren zu können. So kann Chromhefe gut verfügbares Chrom liefern (Melasse ist ebenfalls sehr chromhaltig, kommt aber für Pferde mit Insulinresistenz nicht in Frage.) Chrom konkurriert mit Selen um die Aufnahme in den Körper. Wird der Selengehalt der Nahrung erhöht, sinkt so die Chrom-Aufnahme.

Tinkerstute: Halskamm, Polster an Schulter und Kruppe (so schwer ist sie nicht gebaut, sondern eher groß und schick.)

In der Naturheilkunde sind einige weitere pflanzliche Wirkstoffe bekannt, die sich positiv als den Zuckerstoffwechsel auswirken.

Die Normalisierung des Stoffwechsel braucht ihre Zeit, aber sie ist durchaus erfolgreich.

Zum Weiterlesen:

Chromhefe bei Insulinresistenz beim Pferd, Dissertion Barbara Oswald, Neuried, 2011

Chrom und Metformin erwiesen sich nicht als geeignet, die Insulinresistenz beim Pferd zu verbessern, Dissertation von Dorothee Tönjes, 2016 vorgelegt Allerdings kamen anderen Autoren zu besseren Ergebnissen

L-Carnitin verbessert die Insulinresistenz nicht, wohl aber Bewegung und Abnehmen, Dissertation Uta Sophie Schmengler

Selen

Korrigieren des Grenzwertes von Selen wird angeraten, weil zu viele Pferde mit niedrigen Blutwerten klinisch gesund sind: Hier

Selengehalte in Blutserum klinisch gesunder Pferde in Polen (Anmerkung: liegt tatsächlich ein Mangel vor, wenn die Pferde klinisch gesund sind?)