Schmerzen und Schmerzgedächtnis - auch bei Hund und Pferd?

Chronische Schmerzen und die Schmerzkrankheit

Schmerzen sind bei Hunden und Pferden wirklich nicht einfach zu beurteilen. Selbst beim Menschen, der ja immerhin darüber reden kann, bleiben Schmerzen eine höchst individuelle, höchst subjektive Sache. Dazu kommt, das das Schmerzempfinden in jeder Situation anders ist. Wenn der Hund hinter dem Eichhörnchen her rennt, ist die schmerzende Hüfte völlig vergessen. Und wenn ein Pferd bei Kälte in der Halle bockt und rennt, tut ihm bestimmt nichts weh. (Aber nachher wieder …)

Umwelt und Schmerzen

Hormone verändern die Schmerzempfindung: unter Adrenalin (wie beim Jagen) vergisst jeder Hund auch alte Schmerzen. Auf der Flucht vergisst jedes Pferd den entzündeten Fesselträger oder die schmerzende Hufrolle. Oder Lebensfreude: wenn die Pferde das erste Mal auf die Weide kommen, da lahmt gar keiner mehr. Das macht die Beurteilung, wie schwer die Schmerzen tatsächlich sind, auch nicht leichter.

Schon Aufregung verändert die Wahrnehmung von Schmerzen: dass der Hund beim Tierarzt völlig vergisst, dass er zuhause nur auf drei Beinen gelaufen ist, kennt auch jeder. Dass Pferde, die in der Halle "Ticken", im Gelände sauber gehen und galoppieren, ist ebenfalls häufig. Die Umwelt hat einen wichtigen EInfluss auf die Art, wie Mensch und Tier Schmerzen wahrnehmen. Auch die Beziehung zu den Sozialpartnern ist hier wichtig.

Akute Schmerzen beim Tier

Akute Schmerzen sorgen dafür, dass z.B. ein schmerzendes Bein entlastet wird. So kann es ausheilen. Das ist zumindest der Plan. Akute Schmerzen sind ein sinnvoller Schutz für die Gesundheit. Chronische Schmerzen aber sind etwas anderes. Sie haben ihren Schutzcharakter verloren. Sie bedeuten eine Belastung für den Körper - bis hin zur Schmerzkrankheit  (Wikipedia).

Chronische Schmerzen

Chronische Schmerzen können durch krankhafte, "gelernte" Veränderungen der Signalverarbeitung im Nervensystem verursacht oder verstärkt werden. Das gilt, selbst wenn der ursprüngliche Schmerzgrund gar nicht mehr da ist. Als chronisch gelten beim Menschen Schmerzen, die länger als drei Monate anhalten. Effektiv verändert sich die Signalverarbeitung aber bereits sehr viel früher. Man kann sagen: alles, das länger als 14 Tage anhält, sollte als chronischer Schmerz betrachtet werden.

Und das gilt auch, wenn ein Schmerz erneut im selben Bereich auftritt. Das kann sogar völlig unabhängig von der ersten Schmerzursache sein, etwa eine Hautentzündung nach einer langwierigen Gelenkverletzung. Der gesamte Signalweg ist bereits vorbereitet: sozusagen sind aus dünnen Kupferkabeln bereits High-Speed-Glasfaserleitungen geworden. Hier ist das Schmerzgedächtnis am Werk. Und das gilt auch für Hund und Pferd.

Veränderungen im Zentralnervensystem bei Schmerzen

Wie entsteht das Schmerzgedächtnis?

Schmerzen können Spuren im Zentralnervensystem hinterlassen. Sie können im Gehirn die Empfindlichkeit für Schmerzreize verstärken. Körperlich zeigt sich das als Überempfindlichkeit: z.B. Hunde lassen sich am Rücken nicht mehr anfassen, Pferde wehren sich gegen Satteln oder Putzen.

Solange Schmerzen anhalten, werden ständig Schmerzimpulse über die Nervenbahnen geleitet. Die Nervenbahnen werden ständig gereizt. So werden sie immer empfindlicher: sie haben viel Übung und können das, was sie als ihre Aufgabe ansehen, immer besser und schneller. Durch diese wiederholten Reize können sich die Nervenzellen selbst auch verändern. Ihre Reizschwelle sinkt. Ihre höhere Empfindlichkeit sorgt dafür, dass Signale wesentlich schneller an das Gehirn weitergeleitet werden.

 

Klassische Konditionierung - leider auf Schmerzen

Das Nervensystem "lernt" durch Wiederholungen. Es kann Informationen schneller abrufen – ein Schmerzgedächtnis ist entstanden. Das Empfinden für Schmerzen in dieser Region des Körpers ist nun übersensibel: selbst bei kleinsten Reizen reagiert der Körper mit großen Schmerzen. Das schlimmste aber ist, dass Schmerzempfinden wird auch dann ausgelöst, wenn gar kein Schmerzreiz vorhanden ist. Eine leichter Berührung an einem Pferde-Bein ruft jetzt heftige Reaktionen hervor. Bei Putzen wird das Pferd unleidlich, droht und warnt - und nicht selten wird es dafür bestraft.

So sind aus akuten Schmerzen chronische Schmerzen geworden. Sie können auch auf weitere Körperstellen ausstrahlen, bzw. werden dann auch die Nervenzellen der Nachbarregionen überempfindlich. Jetzt droht das Pferd nicht nur, wenn der Bereich um das schmerzende Knie mit dem Striegel bearbeitet wird. Auf der ganzen Kruppe ist es überempfindlich geworden.

Chronische Schmerzen

Der chronische Schmerz hat seinen Sinn verloren. Er bedeutet keinen Schutz, etwa bei einer akuten Verletzung, die ausheilen soll. Der chronische Schmerz belastet den Körper nur.

Beim chronischen Schmerz ist nicht nur der eigentlich schmerzhafte Prozess betroffen (z.B. die Arthrose in der Hüfte durch Dysplasie beim Hund). Auch die Psyche ist beeinträchtigt, das ganze Wesen ist gedämpft. Wechselwirkungen zwischen dem, chronische Schmerzen empfinden, Hund (oder Pferd oder der Katze) und seiner Umwelt entscheiden jetzt über die Stärke des Leidens - und um Leiden geht es.

Chronische Schmerzen führen zu Depression und sozialem Rückzug. Auch Aggression ist möglich. All das ist über die Cortisol-Stress-Achse zu erklären. Cortisol macht still und depressiv. Ein verletzter Wolf soll sich still verstecken, er soll sich zurückziehen und ausheilen können - aber wenn er von einem Fressfeind gefunden wird, muss er um sein Leben kämpfen. Die Reaktionsweise ist beim Hund nicht anders als beim Wolf (auch wenn es nicht um Fressfeinde geht.) Und Pferde sind alles andere als nett zu einem Unterlegenen. Schmerzkranke Pferde aber können sich oft nicht mehr verteidigen. Rangverluste innerhalb der Herde sind ein Warnzeichen, das ernstgenommen werden muss.

Schmerzen führen zu körperlicher Schonung. Die körperliche Leistungsfähigkeit sinkt dadurch, und besser gelaunt macht das einen Hund oder ein Pferd auch nicht. Im Gegenteil, wenn der Hund weiß, dass er einem anderen Hund auf dem Feld unterlegen ist, wird er oft schon vorbeugend aggressiv. Aber auch die Schonhaltung führt zu Fehlbelastungen von Muskeln und Gelenken. Und das wieder zu neuen Schmerzen …

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